Kritik an Mnemotechniken

Eine Positionierung und ein Plädoyer

Mnemotechnik ist  "denken mit Hilfe von Bildern und Eselsbrücken". Im Gedächtnissport werden diese Techniken in bis zu 10 Disziplinen angewendet und trainiert, vergleichbar mit dem Zehnkampf in der Leichtathletik: In jeweils 5 Minuten sich möglichst viele Zahlen, Namen, Wörter, Jahreszahlen usw. merken.

 

"Nein, auch wenn ihr Mnemotechniken beherrscht, bekommt ihr kein Supergedächtnis." Diese Illusion nehme ich den Schülern gleich am Anfang. Denn Mnemotechniken helfen zwar, bestimmte Dinge besser im Gehirn zu verankern  - aber meist nur kurzzeitig. Wer langfristig Unterrichtsstoff behalten will, muss den Stoff verstanden haben und sollte dann Lernkarteien anlegen. (Vgl. hierzu auch die m. E. beste kritische Seite im Internet zu Mnemotechniken. Von Werner Stangl: arbeitsblaetter.stangl-taller.at/LERNTECHNIK/Mnemotechnik.shtml)

 

Obwohl ich die kritische Einstellung von Werner Stangl teile, komme ich zu einem anderen Schluss: Mnemotechniken sollten doch an Schulen gelehrt werden. Allerdings nicht primär, weil sie das Lernen erleichtern, sondern weil sehr viele Schüler (der 5. Klassen) Spaß am Lernen entwickeln. Sich verrückte Bilder und Geschichten auszudenken macht einfach Spaß!

 

Außerdem helfen Mnemotechniken, Zusammenhangloses wenigstens kurzzeitig abzuspeichern. Und Ulrich Bien weist zu recht darauf hin, dass Studenten oft Fakten für Klausuren lernen müssen, die man nicht durch Verstehen oder Logik besser lernt. So müssen angehende Veterinärmediziner z. B. Größe, Form und Vermehrungsgeschwindigkeiten von Parasiten für Klausuren auswendig lernen  (Bien, S. 44). Hierbei sind Mnemotechniken hilfreich. Denn handlungsorientierter Unterricht ist nicht immer die Lösung: Ich könnte 7 Mal auf die Zugspitze rennen, Geschmacksproben entnehmen und Modelle im Maßstab 1:5 nachbauen; die Logik, dass die Zugspitze 2962 Meter hoch ist, erschließt sich dadurch für mich nicht.

 

Darüber hinaus habe ich als Trainer erfahren, dass Gedächtnissport mit Mnemotechniken

- das Selbstbewusstsein durch z. T. schnelle Erfolgserlebnisse fördert

- maximale Konzentration fördert

- beim Merken von Vokabeln helfen kann

- beim Merken von Zahlen (Jahreszahlen) hilft

- das bei Kindern ausgeprägte visuelle Denken länger erhält

- von Mitschülern zwar manchmal als "Strebersport" abgetan wird (Warum werden eigentlich nie Torjäger als Streber bezeichnet?); aber die AG-Teilnehmer kompensieren diesen unberechtigten Negativtouch mit dem stolzen Gefühl, dass sie etwas beherrschen, was die anderen nicht können. Und sie haben Spaß beim Lernen! (Als ich meine AG-Schüler mal nach den Reaktionen der Mitschüler auf die Gedächtnistraining AG fragte, erzählte mir einer folgenden Dialog: "Welche AG machst du denn?" - "Die Gedächtnistraining AG." - "Warum das denn? Die AGs sind doch freiwillig und sollen Spaß machen!" - "Ich weiß, ich habe ja auch Spaß!") Für Außenstehende unvorstellbar.

 

Ergebnisse aus Studien zur Wirksamkeit von Mnemotechniken und anderen Lerntechniken finden Sie in "Lernen zu lernen" von Metzig und Schuster. Insgesamt stellen sie die Vorteile der Mnemotechniken gut heraus und sind nicht so vermessen wie Bien, der meint, das Wiederholungen (z. B. mit Lernkarteien) dank Mnemotechniken überflüssig werden. Metzig und Schuster (S. 54) erklären auch ansatzweise, warum Mnemotechniken, obwohl seit über 2000 Jahren bekannt, nicht so recht in die Schulen gelangt sind:

- Im Gegensatz zu früher, als es höchstens Wachstafeln gab, gibt es heute einfache Gedächtnishilfen vom Notizblock bis zum Googeln, so dass Mnemotechniken in Vergessenheit geraten oder als unwichtig eingeschätzt werden.

- Insbesondere nach dem protestantischen Bildersturm besteht die Angst vor unkontrollierbaren, gewalttätigen und erotischen Vorstellungsbildern, die zum Sittenverfall führen können. (Wie man an meinen Unterrichtsvorschlägen merken wird, bin ich auch nicht frei davon :))

- Metzig und Schuster unterstellen Kritikern von Mnemotechniken fehlende Experimentierfreudigkeit. Dadurch würden sie auch den positiven Motivationsschub bei Lernenden verhindern, den die Mnemotechniken-Anwender in der Regel durch überraschend leicht errungene Gedächtnisleistungen erzielen.

 

"Fehlende Experimentierfreude" besteht meiner Meinung nach auch manchmal bei Lehrern und ist ein weiterer Grund, warum Mnemotechniken noch nicht in den Schulen angekommen sind. Ich möchte mit meiner Seite Hilfestellung zu mehr Experimentierfreude und zum "Einfach mal ausprobieren!" geben.

 

Meiner Meinung nach gehören Mnemotechniken an Schulen! Nicht, weil die Schüler dann 1000 Mal besser lernen können, sondern eher, weil die Einführung in den Gedächtnissport allen Kindern Spaß macht und einige Wenige den Sport über Jahre treu bleiben. Zumindest gehören Mnemotechniken eher in die Schulen als in Infotainmentshows und Managerseminare. Denn als Grundlage benötigen Mnemotechniken und Gedächtnissport, genau wie jede andere Sportart Übung, Übung, Übung. Möglichst kontinuierlich. Das kann Schule leisten. Am besten in Form einer AG!

 

Letztendlich kommen Schüler und Studenten auch ohne Mnemotechniken gut durch Schule und Studium. Wer aber das Werkzeug Mnemonik durch den Gedächtnissport auf hohem Niveau beherrscht, der wird immer wieder sinnvolle Anwendungsmöglichkeiten finden.

 

 

 

 

 

Lür Lemmermann

 

Lür Lemmermann ist Lehrer an der Otto-Bennemann-Schule Braunschweig. Er freut sich über Fragen und Anregungen.

Wirklich.

 

Lür Lemmermann
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